Volkskrankheit Narzissmus ein Phänomen mit lautem Getöne

04 August 2015
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Blume des Jahres: die Narzisse

Es gibt Menschen, bei denen man sich verwundert frägt, warum sie nicht längst an einem See sitzen, um sich in eine Narzisse zu verwandeln. Und während so ein Mensch noch verliebt sein Spiegelbild im Weinglas betrachtet oder in dieses Glas hinein heult, weil ihn irgendwer oder eigentlich alle anderen zu wenig lieben, googelt man schon die diversen Seen. Denn man sollte und würde ihm helfen, dem Narzissten. Aber wie?

Die narzisstische Störung folgt laut Wissenschaft auf einen Erziehungsfehler, der zwei ganz unterschiedliche Ausprägungen hat: Die Eltern überhäufen das Kind mit positiver Aufmerksamkeit, weil das Kind die Nummer eins schlechthin ist. Oder: Die Eltern kümmern sich zu wenig um das Kind. Im ersten Fall lernt das Kind, dass es die Nummer eins sein muss, was ein übersteigertes Selbstwertgefühl aber auch die ständige Angst vor der Meinung Dritter hervorruft. Im zweiten Fall lernt das Kind, dass es sich immer schön brav anstrengen muss, um überhaupt beachtet zu werden.

Die „schwere Kindheit“ also wieder einmal. Allerdings kenne ich keinen einzigen Menschen, bei dem in der Kindheit alles geschmeidig gelaufen ist.

Freilich ist jeder von uns narzisstisch veranlagt. Das soll ja sogar gut sein, sagen die Experten. Allerdings hat das übersteigerte selbstverliebte Verhalten offenbar gerade Hochkonjunktur. Das Jahrzehnt des Narzissten.

Manche führen den Narzissmus sogar künstlich herbei. Sie legen sich ein affektiertes Verhalten wie Puder auf oder schnupfen Kokain, um für ein paar Stunden der „King aufm Kiez“ zu sein.

Ich weiß freilich nicht, wie die Kindheit von Franz Josef Wagner, seines Zeichens Buchstabendrücker bei BILD, war. Und ich weiß auch nicht, ob man ihn als gestörten Narzisstin oder ähnliches bezeichnen kann/darf/soll. Allerdings könnte sein letzter „Brief“, wie er es nennt, Aufschluss geben. Darin ergeht er sich in einer Eloge auf die scheinbar ausgestorbene Frau. Diese Frau ist ganz Mutter und deckt ihr Kind zu. Die heutigen Frauen allerdings tragen – man setzt sich besser hin – Hosenanzüge! Sie trinken Smoothies! Und sie arbeiten, manchmal sogar in hohen Positionen! Argh!

Bürger, holt die Fackeln und Mistgabeln! Die Hexen sind wieder los, um die Brunnen zu vergiften, Tiere zu verzaubern und Kinder in Wechselbälger zu verwandeln.

Unlängst habe ich in den Facebook-Äther hineingerufen, ob denn jemand diesen Wagner einmal wirklich gesehen habe, oder ob er eine Kunstfigur des Titanic-Magazins sei. Die Meinungen gingen auseinander. Allerdings habe ich nun den Beweis, dass es ihn wirklich gibt.

Eine Reporterin der Welt, Dagmar von Taube (die gibt es auch wirklich), hat ihn besucht und ihn zu seinem „Brief“ befragt. Wagner und Taube kennen sich laut Redaktion seit 25 Jahren (ich erwähne es, weil ich das erstaunlich finde).

Der BILD-Wagner sprach tatsächlich ganz freimütig davon, dass er Angst vor Frauen habe, mehr als vor Löwen und Dinosauriern. Ja, bei den Dinosauriern bin ich auch kurz hängen geblieben. Aber vielleicht gibt es sie in Wagners Welt noch, bitte keine vorschnellen Urteile. Frauen, so Wagner, seien „hexenhafte Wesen“, weswegen sie nicht auf Schiffe dürften. Sie könnten ja den bösen Windzauber beschwören. Aber es gehe ihm um die Babys. Denn „das Baby“, erklärt Wagner, „ist nicht mehr das Baby, so wie ich es erlebte, als ich ein Baby war.“

An dieser Stelle war ich hin und weg. Ich weiß fast nichts mehr von dem, was ich in meiner Babyzeit erlebte.

Aus seiner erklärten Angst heraus, hat Wagner das Bild seiner Traumfrau entwickelt: „Eine moderne, berufstätige, selbstbestimmte Frau, aber in einem veilchenblauen Kleid.“ Treffen mag er die Frau trotzdem nicht, weil er lieber wegfährt und die femininen Schiffe auf dem Wasser anguckt und dabei an seine Mutter denkt.

Und dann ist mir noch der Schäuble Wolfgang eingefallen. Bei dem weiß ich auch nicht, wie seine Kindheit war und ob er was Pathologisches hat. Aber er geriert sich derzeit gegenüber Griechenland so, als ob es seine Ex-Freundin wäre, die ihm drei Mal fremdgegangen ist. „Diese Schlampe kriegt von mir keinen Cent mehr!“ Und er tut so, als ob er wirklich allein zu bestimmen hätte, was mit Griechenland hinsichtlich der Eurozone passiert.

Dies fiele in die Kategorie „Selbstüberschätzung“ - hoffentlich! Narzissten hängen gern ein imaginäres Bühnenlicht über sich, das Glorialeuchten im Behauptungstheater. Man lässt sich oft davon blenden. Es muss nicht einmal die Behauptung sein, dass der Narzisst einfach super ist. Nein, er gaukelt anderen auch Freundschaft oder Liebe vor, um Bewunderung zu bekommen, um nicht allein zu sein.

Ach ja: Europa. Welche Kindheit die alte Dame hatte, ist dokumentiert. Derzeit kann man ihr jedenfalls eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestieren. Einerseits bettelt sie nach der Liebe des jüngeren Bruders USA, andererseits wird sie von ihm missachtet. Russland ist sowieso gemein zu ihr. Also, wer liebt sie denn? Gut, die Liebe von Simbabwe oder Hinterkirchistan ist ihr völlig wurscht. Klar, sie ist immerhin noch wer. Jemand, der Flüchtlinge aufnehmen oder abweisen kann. Jemand, der über Leben und Tod entscheidet.

Symptome einer narzisstischen Störung sind unter anderem die Depression, Aggression (siehe: Flüchtlinge), Suizidalität und Autoaggression. Letzteres äußert sich wohl in Worten und Plänen wie „Grexit“. Oder darin, dass die rechtspopulistischen und -gerichteten Kräfte im EU-Parlament derzeit stark vertreten sind. Überhaupt muss man die enorme Zunahme faschistischer und rassistischer Propaganda sowie Gewalttaten in Europa als europäische Selbstverletzungen begreifen. Verletzungen, die letztendlich tödlich für das enden, was Europa zusammenhalten sollte: der gemeinsame Glaube an ein friedliches Miteinander. Und dies wäre dann der Suizid.

Der CSU-Minister Joachim „Ich krieg sie alle“ Hermann rief bereits nach dem G7-Gipfel, dass man an Grenzen – und irgendwie überhaupt - wieder mehr schleierfahnden solle. Wegen der ganzen freien Verbrecher.

Bauern, zu den Fackeln und Mistgabeln! Schließt die Tore! Die Raubritter kommen wieder! Und sie werden euch die Butter vom Brot nehmen, eure Frauen und Töchter vergewaltigen und euer Bausparkonto plündern. Vielleicht rupfen sie sogar eure Geranien aus.

Deprimiert ist Europa sicher. Die Jugendarbeitslosigkeit, die Schulden, die Schuldner, die Kriminalität, die leeren amerikanischen Versprechen, die Umweltverschmutzung, ärgerliche Hippies, die die Atomenergie abschaffen wollen und all das Leid auf der Welt, an dem Europa mit schuld ist. „O je“, seufzt Europa da. „Was kann ich allein dagegen schon unternehmen?“ Also unternimmt die alte Dame erst mal nix, hockt immer grauer in einem Sessel und guckt die Tagesschau. Vielleicht liest sie manchmal die „Briefe“ von Franz Josef Wagner und murmelt: „Irgendwie hat er schon recht.“

Richtig schwierig wird es indes, wenn der Narzisst meint, jeder müsse nach seiner Fasson leben. Dann verwandelt er sich in einen guten alten Bekannten: den narzisstischen Faschisten aka homullus ex argilla et luto fictus, der schreiend die Knute schwingt, um einem jeden seine kleinen Zwergenschritte und -gedanken aufzuzwingen.

Entweder schreien sie dann: „Wenn ich arbeite/spare/das Treppenhaus poliere, dann müssen die das auch!“ Oder sie knuten so los: http://bit.ly/1KHhLuN.

Hinter den sieben Bildungsbürgerbergen erheben die Zwerge den grünen Zeigefinger der Gesundheitsjünger. Ich erinnere gern an den Sebastian Frankenberger. Einfach nur gegen das Vergessen. Damit wir wissen, warum der Raucher inzwischen als Mörder gilt (dass er sich selber umbringen oder schädigen könnte, ist kaum noch Teil der „Diskussion“).

Das Rauchen, so tönt es aus rosigen Backen, hat man samt dem Raucher zurückgedrängt. Er wird nach und nach ausgerottet, bevor er sich selbst ausrotten kann. Doch die Faschisten sind fleißige Leute. Ihr neues Ziel ist: Das Sitzen.

Man hat nämlich herausgefunden, dass langes Sitzen die gleichen Folgeschäden wie Rauchen hat. Da haben die Raucher allerdings die Nase vorn, sie stehen immerhin, draußen.

Alle Narzissten haben nun eine Gemeinsamkeit: Sie reagieren auf „Liebesentzug“ durch zürnen, schimpfen, verletzen oder heulen.

Nach therapeutischer Theorie soll man dem narzisstisch gestörten Patienten helfen, sein Selbstwertgefühl eigenständig und unabhängig zu steuern. Weg von den Kränkungen, weg von den Beschränkungen. Es wird unter anderem eine Gesprächstherapie empfohlen.

Bei Wagner, Schäuble und den obigen Gartenzwergen... Ähm, na ja.

Aber vielleicht kann man mit der alten Dame Europa noch mal reden. Und ihr sagen, ganz behutsam, dass sie nicht mehr so schön ist.

Andrea Limmer

Freie Journalistin

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